Wann ist man(n) denn ein Mann?
"Die Natur bestimmt, ob wir männlich oder weiblich sind, die Kultur legt fest, was es bedeutet, männlich oder weiblich zu sein." (1)Spätestens seit den siebziger Jahren ist das Rollenbild des Mannes, wie es bis Mitte des 20. Jahrhunderts propagiert worden ist, demontiert worden. Dazu bedurfte es keiner streitbaren Frauenrechtlerinnen, es waren die Männer selbst, die begannen, das Bild des immer überlegenen Helden, dem jede Frau bedingungslos zu Füßen liegt, in Frage zu stellen. Schon in den Fünfzigern zeigte James Dean Tränen und besang Elvis Presley, dass Männer auch einen soften Kern haben.
Als zehn Jahre später generell alle überkommenen Werte hinterfragt wurden und in der Folge aus der Emanzipationsbewegung der Frau heraus die Gleichberechtigung der Geschlechter auch gesetzlich verankert wurde, entstand der Typ des "Neuen Mannes". Als Gegenpol zum "alten" Typ, der als Soldat der Werksfront täglich seine Pflicht am Arbeitsplatz erfüllt, um die glückliche Familie zu ernähren und seinen Schutzbefohlenen ein Heim zu bieten, kümmerte der "Neue Mann" sich um die Kinder, war sensibel, kreativ und nachgebend und erledigte die Hausarbeit während die Partnerin in der Frauengruppe diskutierte oder Karriere machte. Nur konnte er sich nicht so recht durchsetzen. Weder im Privat- noch im Berufsleben und erst recht nicht als alleiniges Rollenbild.
Zur Jahrtausendwende sind nach der vorgelegten Männerstudie von Zulehner/Volz rund ein Fünftel der bundesdeutschen Männer so genannte "neue Männer" während ein Fünftel der Männer sich traditionell verhält. Dazwischen finden sich die pragmatischen und unsicheren Männer, deren zukünftiges Rollenmuster eher noch unklar zu sein scheint (2).
Dessen ungeachtet wurde die konservative Männerrolle immer mehr verdrängt und verlor besonders in der Kindererziehung jede Relevanz. Mit Koedukation und Emanzipation rückten in Kindergärten und Schulen die lange vernachlässigten Bedürfnisse der Mädchen in den Vordergrund. Inzwischen überwiegen Mädchen bei der Zahl der Abiturienten und Jungen bei den Hauptschulabgängern, so dass besorgete Genderforscher sich bereits fragen, ob Schulen vielleicht nur noch den Mädchen gerecht werden und die Bedürfnisse der Jungen vernachlässigen (3).
Parallel zu den drei Fünfteln der erwachsenen Männer mit unklarem Rollenbild existiert eine ganze Generation heranwachsender Jungen mit einem undefinierten Rollenbild, die zwischen Handarbeitsunterricht in der Grundschule und Mitschülern aus Migrationsfamilien mit traditionellem Hintergrund in einem Vakuum gefangen sind, das weder von alleinerziehenden Müttern noch von schulisch erfolgreicheren Altersgenossinnen ausgefüllt werden kann.
Bevor sich das im neuen Jahrtausend zum politischen Leitgedanken erhobene Gender Mainstreaming, das die Integration der Perspektive der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in allen Politikbereichen, auf allen politischen Ebenen und in allen Organisationen fordert (4, 5), sozial bemerkbar macht, gilt es in einem kritischen Geschlechterdialog die jeweils positiven wie negativen männlichen und weiblichen Rollenbestandteile neu zu sichten und zu kombinieren (6), um der heranwachsenden Generation von Männern eine Perspektive zu geben. Eine Perspektive, die konsensual vom Großteil der Gesellschaft akzeptiert und respektiert wird, damit heranwachsende junge Männer wieder wissen, wohin ihr Weg führt.
Vielleicht ist ein Mann ein erwachsener Mann, wenn er erkannt hat, dass er es nicht nötig hat, sich der Welt durch Accessoires als Mann zu beweisen, dass er weinen darf, wenn ihm berechtigterweise danach ist und dass er in der Lage ist, sich als Mann zu fühlen, wenn eine Frau sich gleichzeitig als Frau fühlt und er ansonsten kein Problem damit hat, auch seinen weiblichen Seelenteil auszuleben.
(1) Merz, Ferdinand: Geschlechtsunterschiede und ihre Entwicklung, Verlag für Psychologie 1979, S. 9.
(2) Zulehner, Paul M. /Volz, Rainer: Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht, hrsg. von der Männerarbeit der Evangelischen Kirsche Deutschlands sowie der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands, Ostfildern 1998.
(3) vgl. Faulstich-Wieland, Hannelore: Sozialisation in Schule und Unterricht. Neuwied 2002.
(4) Vgl. Stiegler, Barbara: Frauen im Mainstreaming. Politische Strategien und Theorien zur Geschlechterfrage, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn 1998.
(5) Council of Europe, Gender mainstreaming. Conceptual framework, methodology and presentation of good practice. Final Report of Activities of the Group of Specialists on Mainstreaming (EG-S-MS), Council of Europe Publishing, Straßburg 1998.
(5) Vgl. Connell, Robert W.: Masculinities, Cambridge 1995, S. 232 ff.